Samstag 5 Uhr 32, Stuttgart Hbf:
Bei für die Tageszeit absolut sommerlichen Temperaturen von über 20 Grad und 90% Luftfeuchte fahren ich und Josep Richtung Oberstdorf ab. Bei 140 km/h zwischen Ulm und Memmingen kann man aus dem Prasseln des Regens aufs Wagendach nicht auf dessen Intensität schließen. Kurz vor Oberstdorf kommt dann tazächlich kurz mal die Sonne raus. Wir entschweben ausgeschlafen und frisch gefrühstückt in die Metropole der Allgäuer Alpen.
Doch aus dem schönen Tag wird nix. Bereits am Ortsausgang stellen wir uns fast eine Stunde unter. Bis etwa eine halbe Stunde vor der Käseralpe genießen wir die klare Luft. Danach ist es komisch: Zum Anziehen zu warm, zum Ausziehen zu nass. Doch bei dem Tempo, das Josep vorlegt, trocknet der Nieselregen schneller auf der Haut als es draufregnet. Zumal ich beim Anstieg immer zu etwa einem Drittel mit den Stöcken arbeite. Und bei den zwei stärkeren Schauern nutze ich, dass der Rucksack kleiner ist als der Rucksackpräser und ziehe mir letzteren provisorisch über den Kopf. Da bleibe ich trocken und trotzdem belüftet.

In der Käseralpe gibt es erst mal Jägertee, d.h. viel Jäger und wenig Tee ;-) . Kann man für 3 Euronen aber auch erwarten. Dafür warten wir fast 2 Stunden, bis sich der erste Landregen verzogen hat. Und der hat nun auch noch ein Paar Grad mehr mit gebracht. Am Weg zum Rauheck gehen wir durch einen kleinen "Dschungel", wo sich ein herunter hängeder Ast in meinem Rucksack verhängt. Heftiges Ziehen befördert nicht diesen Ast zu Boden, sondern mich nach oben. Das bringt mir in Verbindung mit meiner Kleidung den Kosenamen "Tarzan" ein.
Josep, das erste Mal im Allgäu, ist von der jetzt durch die sauber gewaschene Luft exquisite Aussicht total hin und weg. Doch trotz steigender Höhe fallen die Temperaturen fast nicht. Ich fürchte eine bereits vorhandene Unterschichtung mit Kaltluft. Und richtig: Nach der Gipfelrast und den Fotos der erste Blick nach Westen: Alles schwarz. Also jetzt nix wie weg hier. Den Grat zu den Krottenspitzen wollen wir noch vor einem Gewitter hinter uns gelassen haben.
Bis zur letzten Scharte erreicht uns auch nur ein eisiges Lüftchen, das von der dahinter liegenden Bergkette leidlich verstärkt wurde. Von der Windverfr8ung, die uns Entgegenkommende angedroht haben, ist das aber weit entfernt.

Auf der Kemptener Hütte kommen Schuhe, Strümpfe und Hose in den überfüllten und mäßig beheizten Trockenraum mit total überforderter Lufttrocknungsanlage. Da kommt dann eine blöde Zicke noch auf die glorreiche Idee, durch beide Fenster weitere nasse Luft hinein zu lassen.
 Davon ist sie nicht ab zu bringen. Jetzt ist die Luft da drin nicht nur feucht, sondern auch noch kalt
Ganz im Gegenteil zum Gastraum. Überfüllt, mindestens 27 Grad, vielleicht auch 30, eine protzige Urkunde "25 Jahre erfolgreiche Geschäftsbeziehungen zur ...-Brauerei" ;-) (im DIN A1- Format) und etliche besoffene Hüttenweg- Schlurfer beim Apres- Hike lassen eher auf ein Volksfestzelt schließen.

Das bekannt gute Essen will ich jetzt bestellen. Die Bedienung verhält sich allerdings wie in manch prüdem US- Staat: No shoes, no shirt, no service. In einem Viersternrestaurant hätte ich dafür Verständnis. In einer Berghütte nicht. Vor Leuten, die im Suff die Bude vollkotzen, hat die Dame offensichtlich weniger Angst. In hungriger Hektik suche ich das T- Shirt. Zum Glück habe ich meine Sandalen dabei und an. Sonst hätte ich die bereit liegenden Fußpilzbomben verwenden müssen.
Endlich kann ich den Rinderbraten bestellen. Mit 9 Euro 70 das teuerste Essen, aber es lohnt sich. Zur Wiederherstellung des Glykogenspiegels allerdings nicht uneingeschränkt geeignet. Eine Beilagenportion der leckeren Spätzle zusätzlich halte ich bei dem Preis eigentlich für inbegriffen. Doch ich täusche mich. Es kommt ein RIESENTELLER. Der _kann_ nicht umsonst sein. Der Preis ist moderat: 1 Euro 80. Dafür schlägt die Hütte beim Bier zu. Ist mir aber egal:-). Weinschorle passt viel besser zum Rinderbraten.

Meine Nackenmuskeln schmerzen vom neuen Rucksack. Josep massiert sie ein Paar Minuten lang. Bis ich wieder einen Anpfiff kriege. Geht die Massage halt durch das (innen recht rauhe) T-Shirt weiter. Das verschafft mir einen roten Nacken.

Sonntag:
Mit der Nächtigung haben wir Glück. Während 32 Leute im kleinen Lager schlafen (bzw. zu schlafen versuchen, denn alle 90 Minuten ertönt das Kommando zum simultanen Umdrehen ;-) ), haben wir zwei das große Lager (67 Plätze) für uns. Schlafdefizit, der aufs Dach prasselnde Regen und die 1600 Meter Aufstieg des Vortags lassen uns bis 8 Uhr 15 liegen. Dann müssen wir schön brav "bitte bitte" sagen, bekommen aber doch das Teewasser.
Die Entscheidungsfindung "gleich runter oder doch noch weiter" ist nach 2 Stunden beendet. Wir gehen weiter. Denn man kann ja am Waltenberger Haus auch absteigen.
Meine Hose aus schnell trocknendem Stoff ist trocken, die (naturmaterialfreien) Schuhe auch. Die Socken nicht. Von Joseps Jeans ganz zu schweigen. Macht aber nix. Denn 5 Minuten später ist ohnehin alles wieder nass.
Joseps Tempo verhindert zuverlässig, dass mir bei Nieselregen kalt wird. Bei einem Block am Weg bouldern wir vor Übermut noch eine Runde.
Unglaublich griffig ist der Fels trotz der Nässe. Kurz darauf war Schluss mit lustig. Zuerst schöpfe ich in einem verd(r)eckten Wasserloch richtig ein. Mit der (im Nebel gewonnenen) Aussicht, ohnehin gleich in der Bockkarscharte zu sein und keine Schweiß treibende Steigung mehr vor mir zu haben, packe ich mich das erste Mal auf dieser Tour in die Jacke. Aus den Schuhen muss ich raus, sonst habe ich in 5 Minuten Blasen. Zum Glück habe ich die Sandalen und nicht, wie sonst immer, die Badelatschen für die Hütte mit genommen.
Die Aussicht trügt. Zwar nur 200 Höhenmeter liegen vor mir, jedoch 10 Meter der bislang üblichen Stockarbeit brennen mir beide Trizeps weg und sorgen für Schweißausbrüche. Mit der Reduktion des Tempos auf 2/3 geht das alles, aber jetzt bin ich nassgeschwitzt. Der Schnee bleibt ab hier liegen, mit den Sandalen mit nagelneuer (Contagrip) Sohle ist das alles kein Problem - außer dass ich kalte Füße habe. In der Bockkarscharte geht ein eisiger Wind, mir ist das erste Mal kalt, die Entscheidung für den Abstieg ist schon seit langem klar. 20 Meter tiefer ist das Schlimmste vorbei.
Der kurze Klettersteig im Abstieg erfordert noch mal einiges Herumgeeiere, aber wegen 20 Metern will ich nicht zwei Mal Schuhe wechseln. Danach rutschen wir durch feinen Schutt fast bis zum Waltenberger Haus.

Dieses ist gerade in der Schließungsphase. Der Ofen ist aus. Dennoch nimmt der (super nette) Wirt meine nassen Socken in die Küche und kriegt sie fast trocken, aus meinen Wanderschuhen läuft das Wasser von allein ab, während ich eine Gemüsesuppe esse. Hauptsache warm, kräftig und leicht verdaulich, der Rest ist mir erst mal egal. Das schweißnasse T- Shirt ist auch nach einer Stunde trocken.

Am Abstieg nehmen wir noch ein paar Sachen der Hütte mit, die nicht überwintern können: etwas Tiefkühlkost, eine Druckgasflasche, Bettwäsche. Als symbolischen Trägerlohn kriegen wir eine Tafel Schololade. Schlechtes Wetter am Schlusswochenende ist für den Wirt der GAU: Während normaler Weise jeder Gast eine Kleinigkeit ins Tal mit nimmt, müssen heute und morgen 5 Leute 4-6 mal laufen.
Dann haben wir noch mal ein schönes Schlechtwettererlebnis: Ein Steinbock sitzt fotogen auf einer Felsnase.
In der Birgsau ist die Tour zu Ende. Ich bin froh, jetzt nicht mehr 3 Stunden im Dunkeln durch Regen Auto fahren zu müssen. Am Bahnhof in Oberstdorf essen wir für zwei Euronen leckeren Eintopf. Im Zug trocknen unsere Sachen, wir selbst schlafen, sortieren die Bilder der Kamera aus und schmieden Pläne für die nächste Tour.

Und wie gingen die Tests aus?
Der Rucksack (Salewa Mountain Guide 30) mit den komfortablen Ringsrum- Reißverschlüssen ist zumindest mit meinen (nicht einmal übermäßig ausgeprägten) Nackenmuskeln nicht kompatibel. Wie das mit der im Produktnamen angesprochenen Gruppe klappen soll, weiß ich nicht, die Jungs sind doch meist kräftiger. Gerade aufgehängte Schultergurte sind bei einem Neupreis von 79 Euro für einen grßeren Daypack eine eigentlich unverzeihliche Fehlkonstruktion. Aber trotz der Rauheit der verwendeten Materialien und der Feuchtigkeit hatte ich weder an Schultern noch am Rücken Hautverluste zu beklagen.
Die Sandalen haben i.W. das gekonnt, was sie sollten. (siehe anderen Thread).
Den Trinksack habe ich auch hingekriegt und ich weiß jetzt wie er zu benutzen ist, ohne mich zu bekleckern.
Ich selbst habe trotz bedenklich leichter Kleidung, mit der ich Überholte und Entgegenkommende teilweise in Schreckzustände versetzte ("Hilfe ein Yeti"), keine Erkältung davon getragen.
Vor allem eines: Wir beide wurden mal wieder daran erinnert, dass selbst Spazierwege bei den "richtigen" Verhältnissen absolut ungemütlich werden können. Und dabei hatten wir ja gar kein richtiges Unwetter.
Bis zum nächstes Mal, hoffentlich bei besserem Wetter ....